Die “Hitler-Reden” im Radio verschlugen ihm die Sprache und nahmen ihm den Appetit: In der Bahnhofsrestauration in Saalfelden im Salzburger Pinzgau wurde Karl Reinthaler (* 18. September 1913 in Villach; † 1. August 2000 in Saalfelden) beobachtet, wie er aus Protest zu Essen aufhörte – und der Gestapo gemeldet. Man denunzierte den Lokführer auch, als er einer Kioskfrau Geld und Lebensmittel bringen wollte. Reinthaler unterstützte in der NS-Diktatur einen “Selbsthilfeverein für Sozialisten und Kommunisten” und wurde schließlich wegen Hochverrates zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Danach kehrte er völlig entkräftet nach Saalfelden heim – und traf am Bahnhof jenen Mann, der ihn verraten hatte. “Karl, wie ist es dir ergangen?”, fragte dieser.

Doch Karl Reinthaler sann nie nach Rache und Vergeltung. Dies, obwohl bereits sein Vater im ersten Weltkrieg beide Beine verloren hatte. Sohn Karl wuchs in bitterer Armut auf, wurde mit den Repressionen des Austrofaschismus groß und entkam in der NS-Zeit nur knapp dem Tod. Im Zuchthaus im deutschen Amberg schwor er sich: “Wenn ich überlebe, werde ich mein restliches Leben der Allgemeinheit widmen.” Und er hielt sein Versprechen: Nach Kriegsende wurde er in den Salzburger Landtag entsandt und zum Obmann des “Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer” in Salzburg gewählt. Als Bürgermeister lenkte er zwischen 1972 und 1978 mit Umsicht und Weitblick die Geschicke der stetig wachsenden Gemeinde von Saalfelden. Als man bei ihm Dickdarmkrebs diagnostizierte, musste er die politische Bühne schließlich verlassen.

Dagegenhalten. Kein anderer Begriff beschreibt den Lebensweg besser, den Karl Reinthaler auf sich genommen hat. Auf den folgenden Seiten können Sie mehr über sein bewegtes Leben erfahren. Damit soll an den Saalfeldener Ehrenbürger und an sein stetes Eintreten für Menschlichkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft erinnert werden.

Nach seinem Ableben begannen der Politologe Alexander Neunherz und die Historikerin Sabine Aschauer-Smolik damit, die Lebensgeschichte von Karl Reinthaler nachzuzeichnen. Das daraus resultierende Forschungsprojekt „Dagegenhalten“ wurde im Mai 2004 der Öffentlichkeit präsentiert.

Das Buch “Karl Reinthaler: Dagegenhalten.” beleuchtete dabei auf eindringliche Weise die Zeit des Nationalsozialismus anhand Karl Reinthalers Biografie und schloss auch die Kontinuitätslinien der Jahre vorher und nachher mit ein. Dadurch wurden die persönliche Handlungsebene und das darüberliegende gesellschaftliche, politische und soziale Handlungsumfeld zu einer Gesamtschau verdichtet.

Neben der Buchpräsentation wurde im Mai 2004 auch eine umfangreiche Ausstellung über Karl Reinthaler im Heimatmuseum Schloß Ritzen eröffnet. Im Beisein seiner Ehefrau Erna Reinthaler sowie vieler politischer Weggefährten und interessierter SaalfeldnerInnen eröffnete Vizebürgermeister a. D. Ernst Pessenteiner die Ausstellung. Zwei Themen wurden dabei besonders ins Zentrum der Betrachtungen gerückt: Zum einen wurde das couragiertes Alltagsverhalten und das öffentliche Eintreten für die eigene Meinung als Grundhaltung in Karl Reinthalers Biografie nachgezeichnet. Nicht offener Widerstand war der Ausgangspunkt für seine Konflikte mit dem Nationalsozialismus, sondern sein standhaftes Festhalten an grundlegenden gesellschaftspolitischen und sozialen Werthaltungen.
Zum anderen ermöglichten die persönlichen Schilderungen Karl Reinthalers zum Alltag und den Verhältnissen in einem Zuchthaus des nationalsozialistischen Regimes einen neuen Zugang zu den Auswirkungen des NS-Terrors. Die Fakten und Zahlen zum Lagersystem wurden durch die zu hörenden und nachzulesenden Berichte mit Leben gefüllt. Insgesamt besuchten 322 SchülerInnen sowie weitere 150 Interessierte die Ausstellung.

Begleitend zur Ausstellung fanden zahlreiche Workshops sowie das Symposium “Zivilcourage: Voraussetzungen, Formen, historische Beispiele und ihre Bedeutung heute” im Kunsthaus NEXUS statt.

Günter Schied, langjähriger Bürgermeister der Stadtgemeinde Saalfelden, meinte dazu:

“Menschlichkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft – diese drei Eigenschaften waren es, die Karl Reinthaler Zeit seines Lebens prägten. Dass er für diese positive Einstellung verurteilt und bestraft wurde, zeigt den ganzen menschenverachtenden Mechanismus des NS-Regimes in aller Deutlichkeit. Aber Karl Reinthaler hielt dagegen – nicht nur in jener unseligen Zeit. Er gab seine Erfahrung in zahllosen Diskussionen als “Zeitzeuge” an die Jugend, die ihm besonders am Herzen lag, weiter und trat stets als Mahner gegen jegliche Art der Gewalt auf.”

Ludo-Hartmann-Preis

Die Veranstaltungsreihe “Karl Reinthaler: Dagegenhalten.” wurde am 21. Februar 2006 durch Bundespräsident Dr. Heinz Fischer mit dem “Ludo-Hartmann-Preis” ausgezeichnet. Dabei wurde die Auszeichnung von Dr. Fischer in seiner Eigenschaft als Präsident des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) im Spiegelsaal der Präsidentschaftskanzlei an Alexander Neunherz und Sabine Aschauer-Smolik überreicht. Bundespräsident Fischer wies darauf hin, dass mit dem 2.200 Euro dotierten Preis, der den Namen des bedeutenden Historikers und Volksbildners Ludo Moritz Hartmann trägt, ein Zeichen gesetzt wird, einer bemerkenswerten Persönlichkeit der österreichischen Zeitgeschichte ein symbolisches Denkmal zu setzen und das Wissen um sie lebendig zu halten.