Aufgrund seiner Familiengeschichte hatte sich Karl Reinthaler bereits in jungen Jahren eine pazifistische Grundhaltung zu Eigen gemacht. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 stand für ihn fest, dass es nur eine Entscheidung geben kann, nämlich jene, abseits zu stehen. Gleichzeitig glaubte er, dass es genügen würde, das System zu ertragen, wie er bereits zuvor den Austrofaschismus ertragen hatte. Dies stellte sich jedoch als Irrtum heraus:
„Wer nicht mittat, wurde zum Gegner. Also musste ich ein solcher werden.“
Seine Kritik an den Ereignissen äußerte Karl Reinthaler immer wieder öffentlich, so z. B. bei der Wirtin des Bahnhofsrestaurants, die ihn deswegen auch an die GESTAPO verriet. Auch seine – auf der Basis historischer Kenntnisse beruhenden – kritischen Äußerungen zum Polenfeldzug brachten ihm eine Vorladung bei der GESTAPO ein. Seit diesen Äußerungen galt Karl Reinthaler als verdächtig und stand im Abseits. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Lokführer besorgte er in der Schweiz internationale Zeitungen, z. B. die „Baseler Nationalzeitung“, und gab diese an die Kollegen weiter. Er berichtet auch davon, dass man als Zeichen des Widerstandes in die Kirche zur Messe gegangen sei.
Seiner Meinung nach lag ein Grund für die große Rolle der Eisenbahner im Widerstand u. a. auch in den Arbeitsbedingungen, die sich nach 1938 noch einmal verschlechterten: Die 48-Stunden-Woche wurde per Dekret auf 54 Stunden erhöht, die Eisenbahner zudem zu unbegrenzten und unbezahlten Überstunden verpflichtet. Sobald man 700 Überstunden erreicht hatte, wurden diese auf Null reduziert. Die Dienstschichten betrugen zumeist zwischen 30 und 35 Stunden, dazwischen lagen nur kurze Ruhepausen.
Ausschließungsschein aus der Wehrmacht.
Ausschlaggebend für seine Verhaftung im Frühjahr 1942 waren schließlich jedoch Spenden für die sogenannte „Rote Hilfe“. Bei der Nepomuk-Kapelle an der Urslaubrücke in Saalfelden stand ein Kiosk, an dem die wichtigsten Lebensmittel zum Verkauf angeboten wurden. 1938 führte jedoch eine andere Frau diesen Kiosk und ein Arbeitskollege verriet Karl Reinthaler, dass die Söhne der alten Betreiberin als Kommunisten verhaftet wurden und die Frau aufgrund der Sippenhaftung gezwungen wurde, den Kiosk aufzugeben. Reinthaler erklärte sich in der weiteren Folge dazu bereit, im Rahmen der “Roten Hilfe” für diese Frau zu spenden. Die regelmäßigen Spenden begründeten schließlich den Verdacht organisierter Tätigkeit und der Vorbereitung zum Hochverrat.
Die heutige Nepomuk-Kapelle an der Bahnhofstraße.
Zu Beginn des Jahres 1942 wurde Karl Reinthaler gemeinsam mit anderen verhaftet, unter ihnen auch Josef Scherleitner, bei dem er zwischen 1936 und 1938 wohnte und der zum Tode verurteilt und 1943 hingerichtet wurde. Seine Mutter bemühte sich um einen Rechtsanwalt, doch dieser meinte nur, die Urteile stünden vor Prozessbeginn bereits fest und jeder bekäme einen Pflichtverteidiger zugewiesen. Die Verhandlung sei letztlich nur eine Formalität. Karl Reinthaler wurde zu sechs Jahren Zuchthaus und Ehrverlust (= Verlust aller bürgerlichen Rechte) verurteilt.
Zuchthaus Amberg
Der Transport ins Zuchthaus nach Amberg erfolgte über die beiden Stationen Regensburg und Straubing. Die Gefangenen wurden in umgebaute Personenwagen gepfercht, die Zeit für den Gang zur Toilette war reglementiert und kaum zu schaffen, die Fenster waren mit Blech verschlagen und nur durch einen Trichter konnte Luft ins Abteil strömen.
Amberg galt als Lager für politische Häftlinge (“Vergeltungslager”) und bestand bereits vor 1938. In den Anfangsjahren des Nationalsozialismus wurde es noch vom Gefängnispersonal aus der Weimarer Republik geführt. Erst später übernahmen es SS- und SA-Männern. Ab 1938 wurden in diesem Lager auch ausländische, vor allem kommunistische Widerstandskämpfer inhaftiert.
Karl Reinthaler (stehend, rechts) im Zuchthaus von Amberg.
Als die Firma Zeiss begann, ihre MitarbeiterInnen aus dem Zuchthaus Amberg zu rekrutieren, konnte Karl aus der Schneiderei (TBC-Gefahr) in die Funktion eines Werkzeugmachers wechseln. Die Tatsache, dass er dort keinen Schichtdienst zu versehen hatte, bezeichnet er als einen Grund für sein Überleben. Immer wieder wurde er mit Sonderaufgaben betraut, die mit seinem gelernten Beruf des Schlossers in Verbindung standen. In diesem Zusammenhang schildert er in einem Interview ein Beispiel für die Unterstützung durch das Wachpersonal: Als er bei Schlosserarbeiten auf dem Lagergelände unterwegs war, wurde er von seinem Bewacher in den Schweinestall gesperrt. Schnell erkannte er, warum dieser das tat: Er konnte sich dort mit frisch gekochten Kartoffeln (für die Schweine) satt essen. Ab den Weihnachtsproben 1943 war Karl auch Mitglied des Gefangenenchors. Das Singen ermöglichte es ihm, Kraft zu schöpfen. Zudem gab es am Ende der Proben für die Weihnachtsfeier immer eine dicke Nudelsuppe. An diese musste er auch bei späteren Weihnachtsfesten denken.
46 Opfer, die im Zuchthaus Amberg inhaftiert waren, sind auf dem Amberger
Katharinenfriedhof in einem Sammelgrab mit Gedenkstein bestattet.
Beim Schleifen eines Werkstückes zog er sich eine Augenverletzung zu. Der Abteilungsleiter der Firma Zeiss ermöglichte es ihm, einen Facharzt aufzusuchen. Dieser suchte das Gespräch mit ihm und die Arzthelferin steckte ihm bei jedem Besuch eine Wurstsemmel zu. Sie ging als der “Schutzengel von Amberg” in die persönliche Lebensgeschichte Karl Reinthalers ein. In einem der Interviews schilderte er sehr eindringlich, dass er der festen Überzeugung ist, wären die Amerikaner 14 Tage später nach Amberg gekommen, hätte er die Haftzeit nicht überlebt, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits am Ende seiner Kräfte angelangt war.
Im Laufe seiner Haftzeit leistete er für sich jenen Schwur, der sein restliches Leben Gültigkeit haben würde:
“Sollte ich das Zuchthaus überleben, werde ich in weiterer Folge mein Leben der Allgemeinheit widmen.”